Arbeit und Freizeit
Wir Menschen interpretieren in diese Begriffe Assoziationen, die für unsere Pferde überhaupt nichts bedeuten. Geradezu verwerflich finde ich die heutigen Gepflogenheiten, nach Konsultation von Google oder Facebook sich über Themen wie Haltung, Training oder Reitweisen rund ums Pferd ein vorschnelles Urteil zu bilden. Ohne vertieftes Hintergrundwissen, oder noch besser, ein persönliches Gespräch mit der Institution oder den Menschen dahinter, sollte man sehr vorsichtig sein mit Verurteilen. Bei allen Beschäftigungen mit dem Pferd gibt es Fixpunkte, welche beachtet werden müssen, um die Begriffe Arbeit und Freizeit ins rechte Licht zu rücken.
Diesen Artikel habe ich für die PASSION, das Schweizer Reitmagazin (4/2021) verfasst.
Freizeit heisst aus meiner Sicht des Pferdes, frei vom Menschen. Also ein Tag oder zumindest Stunden, in denen der Mensch nichts vom Pferd will, auch nicht ausreiten oder spazieren. Sogar auf die Weide stellen ist im weitesten Sinn noch „Arbeit“, denn das Pferd sollte sich auch hier brav aufhalftern und führen lassen.
Betrachten wir mal die gebräuchlichsten Haltungs- und Bewegungsformen in unserer heutigen Pferdewelt. Steht ein Pferd im Offenstall? Ist es ein durchtrainiertes Turnierpferd? Ein in der Manege arbeitendes Zirkus- oder Showpferd? Je nach Beanspruchung sieht die Bewegungs- und Erholungsphase komplett anders aus.
Vorbildliche Haltung?
Das Thema Offenstall löst bei mir immer gemischte Gefühle aus. Grundsätzlich finde ich diese Haltungsform lobenswert. Nur sehe ich zunehmend Pferdebesitzer, welche ihre Pferde dann einfach dort stehen lassen.
Dies im Irrglauben, dass Pferde sich hier selber trainieren und aufmuskeln. Oder noch fataler, das Pferd unter der Woche dem Schicksal überlassen und dann am Wochenende das schlechte Gewissen beruhigen und das arme Tier im Viereck, Round Pen, oder Gelände überfordern.
Im landläufigen Begriff wird dieses Vorgehen dann unter „vorbildlicher Haltung“ verbucht, denn diese Pferde führen angeblich ein schönes Leben, sie werden ja nicht trainiert und gefordert. Oft sind die Auslaufflächen und Stallräume zu klein gewählt und viele Pferde – gerade Rangniedrige -, finden keine Ruhe und Entspannung. Im Vergleich zu den Turnier- oder Showpferden, diese werden bedauert, weil von ihnen Leistung verlangt wird und sie entsprechend trainiert werden.
Sportpferde mit entsprechendem Training und Turnier am Wochenende wären mit einem reinen Stehtag am Montag schlecht bedient. Beanspruchte Muskeln benötigen für den Abbau von Säure leichte Bewegung. Hier kann ein Ausritt am langen Zügel ins Gelände Erholung sein. Vorausgesetzt, das Tier sieht nicht hinter jedem Baum einen Tiger. Pferde in der Box stehen lassen bedeutet für sie nicht „Freizeit“.
Aufgaben und Ausgleich
Gerne würde ich hier auf ein Thema eingehen, welches mir sehr am Herzen liegt. Es geht dabei um die Hengste, die in Wien, Jerez, Cordoba und beim Zirkus Knie ihre bewunderten Auftritte absolvieren. Posts und Artikel, welche diese Haltung als verwerflich titulieren, häufen sich und finden inzwischen breite Zustimmung. Dabei wird völlig ausser Acht gelassen, dass diese Hengste jeden Tag trainiert, gefordert und gefördert werden. Das Training umfasst teilweise 2-3 Stunden, danach noch die Auftritte vor Publikum. Wenn diese Tiere ihren freien Tag haben, liegen sie im Stroh, dösen vor sich hin und sehen zufrieden und entspannt aus. Dies – vor allem in Spanien – häufig noch in einer gemauerten Box. Das sieht auf den ersten Blick Tierschutz-relevant aus, ist es aber nicht. Hengste neigen von Natur aus dazu, ihr Umfeld kontrollieren zu müssen. Was macht die Konkurrenz? Das erfordert eine hohe Aufmerksamkeit. In der Box sind sie jedoch abgeschirmt, können runterfahren und chillen. Meine Hengste stehen immer in Boxen mit Gitter oben, damit sie alles sehen können. Oder sogar in Boxen mit Paddocks. Sie haben ein berechenbares ruhiges Stallklima, sie sind immer täglich gearbeitet und haben so eine Aufgabe und Ausgleich. So fühlen sie sich in den Einzelturnierboxen auf den Messen ohne Sicht nicht wohl, weil sie es auch anders kennen. Natürlich gibt es hier unbelehrbare Halter, welche das nicht korrekt umsetzen, unbestritten. Das entbindet den Betrachter aber nicht vom genauen Hinschauen und individuellen beurteilen.
Keine Haltung, Reitweise oder Training lässt sich ganz simpel in gut oder schlecht einstufen. Die Qualität der Arbeit ist entscheidend und sollte eine gesunde Mischung aus Fordern, Fördern und Erholung umfassen.
Wie bei uns Menschen verhält es sich auch bei den Pferden: wird die Arbeit gerne verrichtet, empfinden beide Lebewesen diese Tätigkeit nicht als negativ, sondern als belebend und inspirierend. Mein Hengst „Armani“ als Beispiel liebt die Freiheitsdressur. Wenn ich ihn zur Zusammenarbeit motivieren will, beginne ich mit dieser Arbeit, danach gelingen die nachfolgenden Lektionen leichter und schöner. Ich als Pferdebesitzer muss die Bedürfnisse meines Pferdes kennen und darauf gezielt eingehen können, nicht mein Ego steht im Vordergrund. Die Stärken und Schwächen des jeweiligen Pferdes entscheiden letztlich darüber, was als „Arbeit“ und was als „Freizeit“ empfunden wird.